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Frei:will:ich! Junges Engagement unter Druck

Beschluss der 96. Vollversammlung 2023

Junge Menschen sind bereit, sich zu engagieren und sich für die Gesellschaft einzusetzen. Sie haben aber in der Corona-Zeit besonders gelitten. Jetzt liegt ein starker Fokus auf Schule, Ausbildung und Beruf – gleichzeitig gibt es eine hohe Anzahl psychisch belasteter Jugendlicher. Es ist daher nicht die Zeit, jungen Menschen zusätzliche Lasten aufzubürden, sondern sie darin zu fördern, ihre eigenen Interessen und persönliche Ressourcen zu entwickeln, damit ein Wille zum Engagement entstehen kann. Dafür müssen die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen und der Wert von Freiwilligkeit anerkannt werden.

Frei:zeit und Frei:räume
Freiwilligkeit muss man sich zeitlich leisten können. Ergänzend zu zeitlichen Freiräumen neben Schule, Ausbildung und Beruf bedeutet dies auch, dass Ehrenamt von jungen Menschen als Freizeitgestaltung empfunden werden kann. Engagement entsteht durch Freude an der ehrenamtlichen Tätigkeit. Diese wird maßgeblich davon beeinflusst, ob die ehrenamtliche Tätigkeit als sinnstiftend für sich und andere empfunden wird. Dort, wo Ehrenamt nicht mehr als Freizeit, sondern als Arbeit empfunden wird, sinkt das Engagement. Komplexe Antragsverfahren, analoge Prozesse, kaum zu erfüllende Datenschutzauflagen, hohe Haftungsrisiken usw. bremsen Engagement aus. Um Engagement aufrechtzuerhalten, müssen diese Barrieren abgebaut und Ehrenamt durch Hauptamt unterstützt werden.

Dazu ist eine ausreichende Finanzierung der hauptamtlichen Kräfte, z.B. der Bildungsreferent*innen in den Jugendverbänden und der Sozialpädagog*innen in den Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit, notwendig. Bereits jetzt gibt es einen Fachkräftemangel in sozialen Berufen, der sich durch Entwicklungen wie den Ausbau des Ganztages noch verschärfen wird. Hier muss rechtzeitig mit angemessenen Ausbildungsmöglichkeiten und einer entsprechenden Bezahlung entgegengesteuert werden, um ein weiteres Absinken der Qualitätsstandards zu verhindern.

Um psychischen Belastungen entgegenzuwirken und Resilienz aufbauen zu können, benötigen Jugendliche ausreichend Freiräume zur Persönlichkeitsentwicklung. Das bedeutet z.B. auch, zeitlichen Verdichtungen in Schule und Ausbildung entgegenzuwirken. Die Beschäftigung mit dem, was einen stark macht, setzt voraus, dass Zeiten ohne mentalen Druck da sind und dass ein Angebot gemacht wird, um eigene Ressourcen und Interessen zu entdecken und auszuprobieren. Dazu braucht es informelle Räume und Gelegenheiten für Begegnung, sowohl örtlich als auch zeitlich, in denen Jugendliche unter sich sein können und sich gern aufhalten. Dort können sie ihre Rolle in der Peergroup finden, Selbstwirksamkeit erleben, Ideen entwickeln und entdecken, dass sich Engagement lohnt. Ohne Freiräume können Freiwilligkeit und Engagement nicht wachsen. Jugend(verbands)arbeit bietet solche Freiräume und ist damit ein Bildungsort mit einem wichtigen präventiven Beitrag zur Stärkung der mentalen Gesundheit. Aber auch in Schule, Ausbildung und Studium ist es wichtig, Freiräume für junge Menschen zu schaffen, die ein gesundes Aufwachsen ermöglichen und Freiwilligkeit und Engagement fördern. Bei Veränderungen müssen gesellschaftliche Auswirkungen mitbedacht werden. Z.B. lässt die Profiloberstufe an Gymnasien Schüler*innen zwar größere Wahlmöglichkeiten, in der Umsetzung wird der Schulschluss aber durch viele Freistunden häufig weit in den Nachmittag verschoben und führt dazu, dass weniger Zeit für ehrenamtliches Engagement zur Verfügung steht.

Kosten:frei
Die dringend notwendige Nachwuchsgewinnung und Qualifizierung in den Vereinen und Verbänden wird durch die hohen Kostensteigerungen in allen Bereichen ausgebremst. Fahrtkosten explodieren, Jugendbildungs- und Freizeiteinrichtungen müssen drastisch ihre Tagessätze für Übernachtung und Verpflegung erhöhen, so dass Veranstaltungen dort nicht mehr durchgeführt werden können, weil sonst unzumutbar hohe Teilnahmebeiträge eingefordert werden müssten. Aufgrund der Kosten- und Planungsunsicherheit finden erneut mehrtägige Maßnahmen der außerschulischen Jugendbildung und -erholung nicht statt. Die Zugangsbarrieren für Familien mit wenig Einkommen werden noch größer, so dass die Benachteiligung bei Bildung und Teilhabe ansteigt. Auch mittelständische Familien, die durch die hohe Inflation ohnehin sparen müssen, werden Preissteigerungen bei Mitglieds- und Teilnahmebeiträgen nicht mehr akzeptieren können und notgedrungen auf Angebote der Jugendarbeit verzichten. Dies wiegt umso schwerer, da Jugendliche häufig nicht selbst entscheiden können, ob ein Angebot bezahlt wird, sondern diese Entscheidung die Sorgeberechtigten für sie treffen.

Ohne eine deutliche Anpassung der öffentlichen Förderungen auf allen Ebenen an die Kostensteigerungen wird Jugend(verbands)arbeit als elementarer Bildungsort für immer weniger Kinder und Jugendliche zugänglich. Ehrenamt muss kostenfrei sein. An vielen Stellen müssen junge Ehrenamtliche, die häufig über keine eigenen finanziellen Mittel verfügen, Geld mitbringen, z.B. für die Teilnahme an Jugendleiter*innenkursen oder Seminaren.

Ein kostenloses landesweites Jugend-Ticket (s. Beschluss des LJR von 2019) ist ein guter Schritt dahin, Teilhabe für alle zu erleichtern. Die Einführung des 49€-Deutschlandtickets bietet neue Chancen auf dem Weg dorthin. Der Landesjugendring fordert die Landesregierung auf, die Tickets sowohl für Freiwilligendienstleistende als auch die 5.500 Ehrenamtlichen mit der Jugendleiter*innenCard kostenfrei anzubieten. Junge Ehrenamtliche, die gar keine Gegenleistung für ihr Engagement erhalten, dürfen nicht schlechter gestellt werden als Freiwilligendienstleistende.

Verbandsarbeit muss außerdem strukturell auf allen Ebenen gefördert werden. Hier ist nach wie vor der größte Teil der engagierten jungen Menschen aktiv. Eine dauerhafte Struktur muss angemessen unterstützt werden, damit Jugendverbände nachhaltig demokratisch wirken und neue Themen und Aufgaben bearbeiten können.

Frei:will:ich den Freiwilligendienst
Voraussetzung von Freiwilligendienst ist Freiwilligkeit. Jeder Zwang würde den Charakter von FSJ, FÖJ, BFD und EFD verändern. Zwang führt zu unmotivierten Teilnehmenden, die weder für sich selbst noch für die Menschen, mit denen sie tätig sind, einen Mehrwert aus dem Dienst generieren. Freiwilligkeit und Selbstbestimmung sind die Basis für erfolgreiches Engagement. Ein Pflichtdienst stellt einen verfassungsrechtlich problematischen Eingriff in die Freiheitsrechte junger Menschen und in ihre individuelle Lebensplanung dar. Statt junge Menschen als einzige gesellschaftliche Gruppe durch einen Pflichtdienst zu bestrafen, sollten die Freiwilligendienste für alle Altersgruppen gestärkt und attraktiv gestaltet werden.

Junge Menschen stehen bereits jetzt unter starkem Leistungsdruck und es wird ihnen suggeriert, nach Corona „aufholen“ zu müssen. Daher kann es nicht wundern, dass Freiwilligendienste als Verzögerung wahrgenommen und nicht alle Plätze besetzt werden. Die Debatte um ein Zwangsjahr schadet dem positiven Bild von Freiwilligendiensten. Jetzt ist es umso wichtiger, Freiwilligendienste als Orientierungs- und Bildungsjahr zu stärken, in dem junge Menschen aus eigenem Antrieb ihre Stärken entdecken und weiterentwickeln können. Soziales Lernen und ein Verantwortungsgefühl können nicht über eine Verpflichtung oder gar einen Zwang erreicht werden.

Sieht man genauer hin, besteht die Schwierigkeit, Plätze zu besetzen, nur in einigen Bereichen. Befürworter*innen erhoffen sich einen Beitrag gegen die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Gesellschaftliches Engagement ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die alle Bevölkerungsgruppen betrifft. Eine Dienstpflicht ist keine passende Antwort auf die Herausforderungen des derzeitigen Fachkräftemangels und Entlohnungsdefizits im Gesundheits- und Pflegesektor und kein Ersatz für eine professionelle Tätigkeit.

Um die Freiwilligendienste zu stärken, fordert der Landesjugendring

  • ausreichend vollfinanzierte Plätze für die zu schaffen, die bereits jetzt keinen geeigneten Platz im Freiwilligendienst erhalten. In Schleswig-Holstein gibt es Träger, die gern mehr Plätze für Interessierte einrichten würden, hierfür zurzeit aber keine Förderung erhalten. Aktuell zahlen Träger aus Eigenmitteln drauf, wenn sie mehr Plätze besetzen, als die, für die sie Förderung erhalten. Im FSJ muss jeder Platz vollumfänglich gefördert werden. Insbesondere müssen auch zusätzliche Plätze geschaffen werden, wenn neue Träger in die Förderung aufgenommen werden.
  • angemessenes Taschengeld: Wer sich Vollzeit in einem Freiwilligendienst engagiert, sollte nicht von Dritten abhängig sein und muss sich Wohnraum und Mobilität leisten können. Dies eröffnet auch die Möglichkeit, neue Zielgruppen zu erreichen, die sich einen Freiwilligendienst bisher nicht leisten können.
  • Rentenpunkt für ein Jahr Freiwilligendienst (analog zu Erziehungszeiten)
  • Befreiung von Rundfunk- und Fernsehgebühren
  • erleichterte Zugangsbedingungen zum Studium (Wartesemester) und Anerkennung eines Freiwilligendienstjahres als Studienvoraussetzung/Pflichtpraktikum in entsprechenden Ausbildungsgängen.
  • Freie Fahrt für Freiwillige: kostenfreies Deutschlandticket für alle Freiwilligendienstleistenden.

Neben diesen Forderungen hat der Landesjugendring bereits zahlreiche Vorschläge zur Stärkung der Anerkennung und der Rahmenbedingungen für Ehrenamt vorgelegt. (s. z.B. Beschluss „Schleswig-Holstein jugendgerecht gestalten – Jugendpolitische Forderungen zur Landtagswahl am 8. Mai 2022“). Wir fordern Politik auf, jetzt tätig zu werden, denn:
Es geht nur freiwillig!

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