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Jetzt erst recht – jugendgerecht! Jugendpolitische Forderungen zur Kommunalwahl am 14. Mai 2023

Beschluss der 96. Vollversammlung 2023

Junge Menschen sind aus der Corona-Krise besonders leidtragend hervorgegangen. Studien zu psychischer Gesundheit und Statistiken zu Suchtverhalten zeigen die langanhaltenden Folgen dieser Zeit. Gleichzeitig führen der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und hohe Kostensteigerungen dazu, dass die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen auch nach der Corona-Krise stark gefährdet ist. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die Krisen als Chance für mehr Jugendgerechtigkeit zu begreifen und zu nutzen. Belange von Kindern und Jugendlichen müssen bei Haushaltsplanungen mit Vorrang behandelt werden. Vielen Menschen wird erst jetzt bewusst, wie wichtig junge Menschen für die Gesellschaft sind und dass es für ein gutes Aufwachsen der richtigen, jugendgerechten Rahmenbedingungen bedarf.

Jugendgerechtigkeit bedeutet, die Interessen von jungen Menschen bei politischen Entscheidungen besonders zu berücksichtigen, da sie selbst zu einem erheblichen Anteil aufgrund ihres Alters von der Wahl ausgeschlossen sind: In Schleswig-Holstein dürfen sie in Land und Kommune erst ab 16 Jahren wählen und sich erst mit 18 Jahren selbst wählen lassen. Der Landesjugendring fordert ein aktives Wahlrecht ab 14 Jahren bei Kommunalwahlen, da Jugendliche nachweislich bereits in diesem Alter die für den Wahlakt notwendige kognitive Reife besitzen. Ein Ausschluss von der Wahl bedeutet eine Verletzung ihres Partizipationsrechts. Er fordert außerdem die Absenkung des passiven Wahlalters für die nächste Kommunalwahl auf 16 Jahre wie es in Baden-Württemberg vor kurzem umgesetzt wurde.

Darüber hinaus sind auch wahlberechtigte junge Menschen politisch deutlich unterrepräsentiert. Jugendgerechte Kommunen nehmen daher junge Menschen besonders in den Blick. Sie schaffen Rahmenbedingungen, die sich an den Interessen von Jugendlichen orientieren und ein gesundes Aufwachsen ermöglichen. Die Jugendverbände und Jugendringe in Schleswig-Holstein fordern die Kommunen auf, bei der Gestaltung der Kommunalpolitik in den nächsten fünf Jahren Jugendgerechtigkeit zu priorisieren und dabei folgende Punkte zu berücksichtigen:

1. Teilhabe von Jugendlichen

„Die Jugendlichen“ gibt es nicht. Jugend ist divers. Jugendgerechte Kommunen berücksichtigen diese vielfältigen Lebenslagen. Sie stellen eine Vielfalt von Angeboten zur Verfügung, die den Bedürfnissen von Jugendlichen entsprechen, und wählen eine passende Ansprache.

Kostengünstige, einfach zugängliche Angebote
Immer mehr Kinder und Jugendliche in Schleswig-Holstein leben in Armut. Besonders betroffen sind dabei junge Menschen mit Migrationshintergrund, junge Menschen mit nur einem Elternteil oder kinderreiche Familien. Soziale und kulturelle Teilhabe müssen für alle Kinder und Jugendlichen in Schleswig-Holstein gewährleistet sein, unabhängig von ihrem Bildungshintergrund, ihrer Herkunft oder dem Ort, an dem sie aufwachsen. Dies ist auch kommunale Aufgabe.

  • Jugendarbeit mit ihrer präventiven Funktion muss für alle zugänglich sein und eine entsprechende Förderung und Ausstattung erhalten.
  • Finanzielle Hürden werden einfach, flexibel und unbürokratisch behoben, z.B. in dem an Stelle eines komplizierten Verfahrens verschiedener Fördermöglichkeiten (Teilhabegutscheine, Ferienwerksmittel etc.) unbürokratisch Zuschüsse zur Verringerung von Teilnahmegebühren gewährt werden.
  • Junge Geflüchtete werden in erster Linie als Jugendliche eingestuft und ihnen die gleichen Rechte und Unterstützungsangebote gewährt wie anderen Kindern und Jugendlichen. Dazu gehören Beratung, ein schneller Zugang zu Sprachkursen in ausreichendem Umfang und eine Vermittlung außerschulischer Begegnungsmöglichkeiten.
  • Schulsozialarbeit und vielfältige Bildungsangebote in ausreichender Zahl unterstützen diejenigen, die Hilfe brauchen.
  • Jede*r Jugendliche lernt selbstverständlich schwimmen.
  • Gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen und Jugendberufsagenturen schaffen klare berufliche Perspektiven für junge Menschen.

Internet und Mobilität
Der Zugang zum Internet und die schnelle Erreichbarkeit von Schul- und Freizeitangeboten sind Grundvoraussetzungen für die Teilhabe von Jugendlichen.

  • Eine Anbindung an einen schnellen Internetzugang und kostenfreies WLAN in allen Jugendeinrichtungen und Schulen ist notwendig.
  • Kostenfreier Nahverkehr für junge Menschen muss das Ziel sein. Auf dem Weg dorthin sollten Gemeinden, Städte und Kreise erste Schritte z.B. in Form von Zuschüssen in Höhe von 20€ zum 49€-Ticket oder freie Fahrt für Ehrenamtliche mit der Jugendleiter*innenCard wählen.
  • Bei der Verkehrsplanung sind die Bedürfnisse von Jugendlichen besonders zu berücksichtigen (vergleiche „ÖPNV in Schleswig-Holstein jugendgerecht ausbauen“, Beschluss der 94. Vollversammlung des LJR 2021)

Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen
Der Rechtsanspruch auf inklusive Jugendarbeit wird in jugendgerechten Kommunen ohne Verzögerung umgesetzt (s. Erläuterungen im Beschluss „Inklusive Jugendarbeit braucht Förderung“ der 95. Vollversammlung des LJR 2022).

  • Es wird geprüft, wer noch keinen Zugang zu Angeboten hat und ob ausreichend Angebote vorhanden sind.
  • Barrierefreiheit in der Jugendarbeit wird umgesetzt, um diese für junge Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen (Barrierefreiheit in Bau, Kommunikation etc.).
  • Die notwendigen Fördermittel zur Umsetzung einer inklusiven Jugendarbeit werden den Verbänden, Jugendzentren, Freizeitvereinen und anderen Organisationen selbstverständlich zur Verfügung gestellt.

Gendergerechtigkeit
Geschlechtliche Vielfalt entspricht der Lebensrealität junger Menschen und ist anzuerkennen.

  • Eine ausreichende Anzahl von Beratungs- und Fortbildungsangeboten für LSBTIQ+- Jugendliche und Akteure der Jugendarbeit werden vor Ort geschaffen und unterstützt.
  • Gendergerechte Sprache wird verwendet oder zumindest als gleichwertig zugelassen.
  • Bauliche Anforderungen werden in Jugendstätten umgesetzt.

Diese und andere Standpunkte zeigen, dass die Jugendverbände und Jugendringe sich klar von rechtspopulistischen Positionen und Parteien, die diese vertreten, distanzieren. Parteien wie die AfD sind für die Jugendverbände und -ringe nicht wählbar. 

2. Jugendarbeit für alle

Der Zugang zu Jugendarbeit ist ein wichtiger Baustein für die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen. Neben geringen Teilnahmebeiträgen bedeutet dies:

  • Es werden Anstrengungen zur Entbürokratisierung unternommen, z.B. ein einheitliches Antragsverfahren in benachbarten Gemeinden für Ferienfreizeitenförderung etc.
  • Eine angemessene Förderung für Ferienfreizeiten (mind. 10 € pro Tag/Teilnehmer*in auf Kreisebene und darüber hinaus eine angemessene Beteiligung der Gemeinden) wird zur Verfügung gestellt und an die Kostenentwicklung angepasst (+25% im Vergleich von 2019 zu 2023). Internationale Jugendbegegnungen müssen ebenfalls angemessen gefördert werden.
  • Die Ausbildung von Jugendleiter*innen muss für diese kostenfrei sein.
  • Anreize zur Förderung des Ehrenamtes in der Jugendarbeit werden geschaffen (z.B. Pauschalen für die Träger pro ausgebildeter Jugendleitung, freie Fahrt für Ehrenamtliche, Ausbau der Freistellungsmöglichkeiten in Schule).
  • Die Interessen von Kindern und Jugendlichen werden auch bei Ferienangeboten an erster Stelle berücksichtigt und diese partizipativ entwickelt und umgesetzt. Statt schulische Ferienangebote neu zu entwickeln, wird im Dialog mit freien Trägern der Jugendhilfe, insbesondere Jugendverbänden, ein Ausbau der vorhandenen Angebote geprüft.
  • Die Forderungen nach Ausstattung, Beteiligung und Zusammenarbeit aus dem Beschluss „Jugendringe sind zu fördern“ der Vollversammlung des Landesjugendrings 2017 werden umgesetzt.
  • Der öffentliche Träger übernimmt bei Leistungsvereinbarungen mit Jugendringen für die freien Träger das Risiko von Umsatzsteuerzahlungen. 

3. Jugendgerechte Räume

Jugend braucht eigene Räume, die sie selbst gestalten kann und an denen sie nichts muss, aber viel darf. Nach der Corona-Zeit benötigen junge Menschen insbesondere Räume der Begegnung mit Gleichaltrigen. Dazu sind folgende Punkte notwendig:

  • Die Kommune trägt ihren Teil zum Jugendstättenbau (Freizeitstätten, Vereinsheime, Jugendzentren, Unterkünfte, Zeltplätze etc.) bei und stattet dazu die Haushaltstitel entsprechend aus.
  • Ein zeitgemäßer Internetzugang in allen Gemeinden ist zwingende Daseinsvoraussetzung für die Bildung und Teilhabe junger Menschen. Stabiles kostenfreies WLAN ist in Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen selbstverständlich.
  • Jugendliche dürfen ihren Aufenthalt in Freizeit- und Sportstätten und ebenso wie der Aufenthalt an öffentlichen Orten wie Markt- oder Grillplätzen, Bushaltestellen usw. selbst bestimmen und werden nicht als Störer*innen betrachtet. Konflikte mit anderen Zielgruppen werden auf Augenhöhe im Dialog gelöst.
  • Kommunen erkennen das Recht auf Freizeit an. Sie lassen Schüler*innen bei der Schulentwicklung als wichtigste Gruppe mitbestimmen, u.a. an der Gestaltung der Schulgebäude. Es werden Räume geschaffen, die außerhalb des Unterrichts zur Freizeitgestaltung in Freistunden etc. genutzt werden können.
  • Wichtige Orte der Daseinsvorsorge wie Sport- und Schwimmhallen müssen ebenso wie Freizeitangebote von Jugendeinrichtungen bis zu, Kinos, Discos usw. nah gelegen und zu entsprechenden Zeiten gut mit dem ÖPNV erreichbar sein und die weiteren Forderungen der Vollversammlung des LJR für einen jugendgerechten Ausbau des ÖPNV von 2021 werden berücksichtigt (Mobilitätsgarantie, Netzausbau, freie Fahrt für junge Menschen, kein Ende an der Haltestelle).
  • Es werden Bedarfe junger Menschen für bezahlbaren Wohnraum außerhalb des Elternhauses geprüft und dieser wird entsprechend geschaffen.

4. Jugendbeteiligung ist Pflicht

Jugendliche haben ein gesetzliches Recht auf Beteiligung. Jugendbeteiligung ist eine Querschnittsaufgabe für alle gesellschaftlichen und politischen Felder.

  • 47f der Gemeindeordnung wird selbstverständlich von den kommunalen Akteuren initiiert und konsequent und überprüfbar umgesetzt. Beschlüsse des Kreistages sowie der Gemeinde- und Stadtvertretungen werden mit dem Zusatz versehen: Jugendliche wurden beteiligt.
  • Eine breite Jugendbeteiligung zu vielfältigen Themen mit vielfältigen Methoden, die Jugendliche selbst mitbestimmen können, ist notwendig. Eine Verengung auf einzelne Beteiligungsformen oder -gremien findet nicht statt. Unterschiedliche Zielgruppen von Jugendlichen werden berücksichtigt.
  • Kommunalpolitiker*innen gehen aktiv und mit Respekt und Wertschätzung auf junge Menschen zu und informieren sie in jugendgerechter Sprache über ihre Rechte. Fachkräfte für Jugendbeteiligung unterstützen Beteiligungsprozesse. Das Subsidiaritätsprinzip der Jugendhilfe wird durch Anstellung bei freien Trägern gewährleistet und die Fachkräfte können unabhängig von Politik und Verwaltung Jugendliche bestmöglich unterstützen.
  • Finanzielle Ressourcen für Jugendbeteiligung werden zur Verfügung gestellt und die Arbeit der Jugendringe als Interessenvertretungen von Jugendlichen angemessen unterstützt.
  • Qualitätskriterien für echte Mitbestimmung werden eingehalten (s. Positionierung der Vollversammlung des Landesjugendrings 2023 zur jugendpolitischen Strategie).

5. Wir sind nicht allein!

Die Krisensituation der letzten Monate und Jahre zeigt, wie wichtig es ist, Anstrengungen zu unternehmen, um eine lebenswerte Zukunft für junge Menschen zu schaffen. Dazu gehört:

  • Angebote zur Stärkung der mentalen Gesundheit junger Menschen stehen in ausreichender Zahl, einfach zugänglich und ohne Wartezeiten zur Verfügung.
  • Internationale Vernetzung wird u.a. durch Jugendaustausch gestärkt.
  • Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit im Sinne der UN-Ziele werden umgesetzt.
  • Gesellschaftlicher Zusammenhalt wird durch die Schaffung von Begegnungen und Ehrenamt gestärkt.
  • Geflüchtete Menschen werden als Bereicherung aufgenommen und bestmöglich unterstützt.

Die Jugendverbände und Jugendringe stehen den Akteuren vor Ort als Ansprechpartner für die gemeinsame Gestaltung jugendgerechter Kommunen zur Verfügung. Nach der Kommunalwahl muss es überall in Schleswig-Holstein heißen: Jetzt erst recht – jugendgerecht!

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